Multiphysik

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engl: multi physics          Kategorie: Aa-leerbild.jpg Level 2 Theorie


Eine Multiphysik-Anwendung ist eine Simulation von mehreren Feldeffekten, bei der ein einziges Berechnungsmodell und ein Simulationsdurchgang (Diskretisierung, Lösung, Auswertung) verwendet wird.

Eine Multiphysik-Anwendung berücksichtigt die Interaktion (Kopplung) zwischen zwei und mehr physikalischen Disziplinen (Feldern). So wird z.B. in einer piezoelektrischen Analyse die Interaktion zwischen einem elektrischen Feld und der Strukturmechanik verarbeitet: Es wird das elektrische Feld durch aufgeprägte Verschiebungen oder umgekehrt berechnet. Andere Beispiele für die Berechnung gekoppelter Felder sind die Kopplung zwischen thermischer Analyse und Strukturmechanik, thermischer und elektrischer Analyse, elektro-magnetischer Analyse usw.

Einige Anwendungen, bei denen die Berechnung von gekoppelten Feldern erforderlich sein könnte, sind

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen

Die Vorgehensweise für die Berechnung gekoppelter Felder hängt davon ab, welche Felder gekoppelt werden. Es können jedoch zwei Verfahren unterschieden werden: die schwache und die starke Kopplung.

Die schwache bzw. indirekte Kopplung beinhaltet zwei sequentielle Analysen, jede für ein unterschiedliches Feld. Die zwei Felder werden gekoppelt, indem die Ergebnisse der einen Feldberechnung als Lasten für die zweite Feldberechnung verwendet werden. Ein Beispiel hierfür ist die sequentielle thermische Analyse mit anschließender Strukturmechanik-Analyse, wobei die Knotentemperaturen der thermischen Analyse als aufgeprägte Volumenlasten (body force) in der anschließenden Strukturmechanik-Analyse verwendet werden.

Die starke bzw. direkte Kopplung erfordert gewöhnlich nur eine Analyse, bei der ein Elementtyp für gekoppelte Felder verwendet wird, der alle erforderlichen Freiheitsgrade besitzt. Die Kopplung wird durch die Berechnung von Elementmatrizen oder Lastvektoren realisiert, die bereits alle erforderlichen Terme enthalten.

Simulation

Da die starke Kopplung nur eine Analyse beinhaltet, ist sie am besten zugeschnitten auf Situationen, bei denen Kopplung in wechselseitige Richtung vorliegt, d.h. bei denen die Effekte durch Kopplung rekursiv auftreten: Die Lösung von Feld A beeinflusst die Lösung von Feld B, welches umgekehrt wieder Feld A beeinflusst, usw. Stellen Sie sich z.B. einen stromführenden Leiter mit temperaturabhängigem Widerstand vor. In diesem Fall erhöht ein Stromfluss die Temperatur des Leiters. Das Ansteigen der Temperatur ändert den Widerstand des Leiters, der den Strom verändert, der wiederum die Temperaturverteilung beeinflusst usw.

Für Kopplungen in „einer Richtung", wo die Ergebnisse von Feld A die Ergebnisse von Feld B beeinflussen, jedoch nicht umgekehrt, ist die schwache bzw. indirekte Kopplung effektiver. Man erreicht dadurch außerdem mehr Flexibilität, da die beiden Analysen unabhängig voneinander durchgeführt werden können. Bei einer sequentiellen thermischen Analyse mit einer Strukturmechanik-Analyse z.B. kann zunächst eine thermische Analyse und dann die Strukturmechanik-Analyse durchgeführt werden. Die Knotentemperaturen zu einem bestimmten maßgebenden Zeitpunkt der thermischen Analyse können dann als Lasten für die Strukturmechanik verwendet werden.

Durch die Kopplung der Feldeffekte ergibt sich oftmals eine Unsymmetrie der Gesamtsteifigkeitsmatrix. Dies sollte bei den Einstellungen der Lösung beachtet werden, um schnell Konvergenz zu erreichen.

Tips und Tricks

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Zeitschrittweite

Bei der Simulation von transienten bzw. dynamischen (zeitabhängigen) Vorgängen, bei denen mehrere Feldeffekte gemeinsam zu betrachten sind, muss die Zeitschrittweite gründlich durchdacht werden. Betrachten wir dazu ein Beispiel eines Druckbehälter. Ein dickwandiger Rohrleitungsflansch wie rechts abgebildet wird durch ein heißes Medium in der Rohrleitung aufgeheizt. Die Simulation wird mit einer gekoppelten thermischen und mechanischen Analyse durchgeführt. Die Zeitabhängigkeit liegt dadurch vor, dass die Rohrleitung zunächst kalt ist (Raumtemperatur) und dann durch das heiße Medium innen aufgeheizt wird. Diese Zeitabhängigkeit ist durch das Temperaturfeld geprägt. Die Zeitabhängigkeit eines transienten Temperaturfeldes (Aufheizen, Abkühlen) ist durch die Wärmekapazität geprägt, die Änderungen der Temperaturen finden in Sekunden oder Minuten statt. Dagegen ist die Zeitabhängigkeit der Strukturmechanik (Schwingung, Vibration) durch die Masse bzw. Trägheit geprägt, die Änderungen der Verschiebungen bei Schwingungen oder Vibrationen finden in Milli- oder Mikro-Sekunden statt. Dies ist hier unwesentlich. Die Simulation wird also in Zeitschritten eine transiente Temperaturfeld-Berechnung sein, bei der gekoppelt dazu bei jedem Zeitschritt eine statische Berechnung der Strukturmechanik - mit den Materialwerten und den thermischen Dehnungen aufgrund der jeweils aktuellen Temperaturen - stattfindet.

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Transiente Anteile

Betrachten wir eine Crimp-Verbindung eines elektrischen Kabels wie rechts in der Abbildung gezeigt. Bei einem elektrischen Strom gibt es Verluste, die als Stromwärmeverluste zu einer Aufheizung führen. Dies soll durch eine gekoppelte Analyse der elektrischen Stromleitung und des Temperaturfeldes simuliert werden. Dabei soll ausgehend von einem kalten Kabel das Verhalten nach dem Einschalten untersucht werden. Die Zeitabhängigkeit des transienten Temperaturfeldes (Aufheizen, Abkühlen) ist durch die Wärmekapazität geprägt, die Änderungen der Temperaturen finden in Sekunden oder Minuten statt. Die Zeitabhängigkeit der elektrischen Stromleitung ist - wenn wir Induktivitäten und Kapazitäten außer acht lassen - nicht zu berücksichtigen. Für die gekoppelte Simulation ergibt sich hier damit die Zeitabhängigkeit nur aus den thermischen Größen. Das Geschehen erfolgt also so: der elektrische Strom wird eingeschaltet (elektrisch), es ergeben sich sofort Stromwärmeverluste (elektrisch -> thermisch). Diese Wärme heizt langsam zeitabhängig das Material auf (thermisch). Wenn sich durch die höheren Temperaturen der Widerstand ändert, ergibt dies eine Änderung der elektrischen Stromleitung - dies ist aber nur indirekt zeitlich bedingt. Die Simulation wird also in Zeitschritten als eine transiente Temperaturfeld-Berechnung durchgeführt werden, bei der gekoppelt dazu bei jedem Zeitschritt eine Berechnung der elektrischen Stromleitung - mit den Materialwerten und Verlustleistungen für die jeweils aktuellen Temperaturen - stattfindet.

Konvergenz bei Nichtlinearitäten

Die Lösung der Simulation bei einem Modell mit Nichtlinearitäten wird durch eine Folge von Gleichgewichtsiterationen erreicht. Nach jeder Iteration wird eine Gleichgewichts-Kontrolle durchgeführt. Dabei werden mit den aktuell berechneten Ergebnissen der Freiheitsgrade die inneren Kräfte (Kraftgrößen) berechnet und mit den außen wirkenden Kräften (Kraftgrößen) verglichen. Wenn diese Kontrolle nur noch einen geringfügigen Restwert {R} (Residuum) ergibt, ist Konvergenz dieser Iterationsfolge erreicht.

Bei Multiphysik-Simulationen werden die Freiheitsgrade, die inneren Kraftgrößen und die außen wirkenden Kraftgrößen aller Physiken verwendet, die beteiligt sind. Betrachten wir hierzu als Beispiel den dickwandigen Rohrleitungsflansch, der oben bereits beschrieben wurde.

Diese Simulation wird in Zeitschritten eine transiente Temperaturfeld-Berechnung sein, bei der gekoppelt dazu bei jedem Zeitschritt eine statische Berechnung der Strukturmechanik - mit den Materialwerten und den thermischen Dehnungen aufgrund der jeweils aktuellen Temperaturen - stattfindet. In der Praxis werden folgende Daten vorliegen, die rechts in der Abbildung als prinzipielle Funktionsverläufe skizziert sind:

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Bei einer direkten (starken) Kopplung werden Temperaturfeld und Strukturmechanik gleichzeitig simuliert und gelöst. Bei der Gleichgewichtskontrolle werden die Temperaturen und Verschiebungen sowie Dehnungen, Wärmeströme und Kräfte betrachtet. Die Abbildung rechts zeigt, welche Abhängigkeiten der Eigenschaften im Modell von den Temperaturen und Verschiebungen vorhanden sind. Für die Lösung müssen bei allen Funktionen - wie durch die roten Pfeile angedeutet - die geeigneten Werte gefunden werden. Auch wenn nur eine einzige der Interaktionen dieser Größen nicht ausreichend genau berücksichtigt ist, muss eine weitere Iteration durchgeführt werden.


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Bei einer indirekten (schwachen) Kopplung wird zunächst das Temperaturfeld simuliert und gelöst. Bei der Gleichgewichtskontrolle werden die Temperaturen und Wärmeströme betrachtet. Für den Kontakt wird der Kontaktabstand zugrunde gelegt, der anfangs vorliegt, hier in diesem Beispiel "geschlossen". Wenn die Interaktionen dieser thermischen Größen ausreichend genau berücksichtigt sind, ist Konvergenz dieses Simulations-Teils erreicht. Auf diese Weise wird der zeitliche Verlauf der Temperaturen bei der Aufheizung und Abkühlung simuliert.

Danach wird die Strukturmechanik-Simulation ausgeführt. Dabei wird eine Folge von Zeitpunkten untersucht und jeweils die aktuelle Temperaturverteilung - sozusagen als "Momentaufnahme" - zugrunde gelegt. Bei der Gleichgewichtskontrolle werden die Verschiebungen sowie Dehnungen und Kräfte betrachtet. Die Abbildung rechts zeigt, dass hier bei der Strukturmechanik einige Größen wie der Elastizitätsmodul E und die thermische Dehnung εth jetzt für die aktuelle Temperatur auszuwählen sind, aber keine Abhängigkeit von den aktuellen Freiheitsgraden, nämlich den Verschiebungen, vorliegt. Sie haben damit keinen Einfluss auf die Gleichgewichtskontrolle und die Konvergenz. Es bleiben die Spannungs-Dehnungs-Funktion und die Kraftübertragung am Kontakt . Für den Kontakt wird der Kontaktabstand jeweils aktuell aus den gerade vorliegenden Verschiebungen abgeleitet. Wenn die Interaktionen dieser mechanischen Größen ausreichend genau berücksichtigt sind, ist Konvergenz dieses Simulations-Teils erreicht. Auf diese Weise wird der zeitliche Verlauf der Verschiebungen und Spannungen bei der Aufheizung und Abkühlung simuliert.

Der Vergleich zeigt:

Sonstige Begriffe

Die gekoppelte Simulation von reduzierten Teilsystemen unterschiedlicher physikalischer Bereiche in einer Systemsimulation kann auch als Multiskalen-Kopplung bezeichnet werden.

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