Ebener Dehnungszustand Beispiel 1
Aus ESOCAETWIKIPLUS
Ebener Dehnungszustand Beispiel 1
In diesem Beispiel geht es um eine Kolonne einer Chemie-Anlage. Diese Kolonne ist ein langer schlanker Zylinder von einigen Metern Höhe, der unten auf dem Boden aufsteht. Die Skizze rechts zeigt diese Kolonne (rot). Oben auf der Kolonne ist ein Gebläse montiert, das Luft ansaugt und von oben in die Kolonne einspeist. Unten ist seitlich ein Austrittstutzen für die Ableitung der Luft. In der Kolonne finden chemische Prozesse statt, die hier nicht weiter wichtig für unser Thema sind. Jedenfalls wird die Wandung der Kolonne warm.
Der Innendruck ist relativ gering, die zylindrische Wand der Kolonne ist daher relativ dünnwandig. Die Wandung ist aus austenitischem Stahl, damit keine Korrosion auftritt.
Die Kolonne muss die Längskraft aus dem Gewicht des oben montierten Gebläses aufnehmen. Um hierfür eine ausreichende Tragfähigkeit zu erreichen, werden außen an der Wandung der Kolonne zur Verstärkung in Längsrichtung Rippen angeschweißt. Für diese Rippen wird ferritischer hochfester Stahl verwendet.
Die Simulation soll für den mittleren Bereich der Kolonne die Spannungsverteilung aufzeigen.
Inhaltsverzeichnis |
Idealisierung
Die Kolonne weist über die gesamte Länge den gleichen Querschnitt auf, der hier rechts in der Skizze dargestellt ist.
Die Lasten - also der Innendruck, die Temperatur (sie wird für die gesamte Kolonne als gleich angenommen) und die Längskraft durch das Gewicht des Gebläses oben - sind ebenfalls für jeden Querschnitt gleich.
Jeder Querschnitt der Kolonne ist vorher und bleibt auch unter Belastung flach und eben. Damit ist eine maßgebende Bedingung des ebenen Dehnungszustandes erfüllt. Hierfür könnte ein 2-dimensionales Modell mit ebenen Elementen und der Einstellung "ebener Dehnungszustand" (plane strain) verwendet werden.
Wenn auch jeder Querschnitt der Kolonne eben bleibt, ist aber hier in dieser Kolonne mit einer Längenänderung der Kolonne und damit also mit einer Änderung des Abstandes der Querschnitte zu rechnen. Es treten also Dehnungen in Längsrichtung auf. Das ergibt eine Abstandänderung der Querschnitte gegeneinander wie eine Ziharmonika. Diese Bedingungen sind nicht pauschal durch ebene Elemente mit einem 2-dimensionalen Modell simulierbar. Hierzu muss ein 3-dimensionales Modell mit Volumen-Elementen verwendet werden.
In Längsrichtung liegen die besonderen Bedingungen vor, dass keine Variation der Größen auftreten kann (also keine Gradienten zu erwarten sind). Damit ist eine einzige Element-Teilung ausreichend.
Ein solches Modell mit einer Vernetzung in der Ebene und einer einzigen Elementhöhe in der 3. Raumrichtung kann auch als quasi-2-dimensionales Modell bezeichnet werden.
In Umfangsrichtung liegt hier bei dieser Kolonne eine weitere Symmetrie vor, und zwar durch die regelmäßige Anordnung der 16 Rippen um den Umfang. Es reicht bei dieser Geometrie und diesen Lasten aus, einen Sektor von 360 / 16 = 22,5° zu modellieren und an den Schnitträndern geeignete Randbedingungen anzubringen.
Diskretisierung
Bei der Diskretisierung - also der Vernetzung, der Aufteilung des Modells in Elemente - wird im wesentlichen die Aufteilung in der x-y-Ebene beachtet. Wenn dies erfolgt ist, wird auf diese Netzteilung aufgebaut und durch Extrudieren mit einer Elementhöhe das Modell zu einem 3-dimensionalen Modell erweitert. Der Modellierungsaufwand ist gering, da die Netzaufteilung in der Ebene beibehalten wird.
In der x-y-Ebene sind hier große Elemente im ungestörten Wandungsbereich und kleine Elemente im Bereich der Schweißnaht vorhanden.´Durch das Extrudieren werden alle diese Elemente "langgezogen". dadurch entstehen sehr unterschiedliche Kantenlängenverhältnisse. Dies wird hier in Kauf genommen und bleibt ohne Nachteil, weil in der Längsrichtung keine Gradienten und keine Änderungen auftreten und keine Einbuße an Genauigkeit zu erwarten ist.
Materialdaten
Dieses Beispiel ist dadurch interessant, dass die Materialdaten für ferritischen und austenitischen Stahl sich unterscheiden. Dies trifft (in geringem Maße) für den Elastizitätsmodul zu, der die Steifgkeit in Längsrichtung bestimmt, und (in größerem Maße) für den Wärmeausdehnungskoeffizienten zu, der die thermische Dehnung bestimmt und zu einer inneren Verspannung von Wandung und Rippen führt.
Randbedingungen und Lasten
Bei den Randbedingungen für dieses Modell des 22,5°-Sektors und der kurzen Länge in z-Richtung ist zunächst die Festhaltung in Umfangsrichtung an beiden seitlichen Sektor-Rändern zu beachten. Dabei müssen an diesen Rändern die Richtungen der Freiheitsgrade entsprechend gedreht werden. An jedem Rand werden die Verschiebungen uy (also die lokale Umfangsrichtung) festgehalten (in der Skizze rechts durch Dreiecke mit uy gekennzeichnet).
Am unteren Querschnitt in Längsrichtung wird an allen Knoten die Verschiebung in Axialrichtung uz festgehalten (in der Skizze rechts durch ein Dreieck mit uz gekennzeichnet). Dadurch bleibt der Querschnitt auch unter Belastung eben. Jeder Knoten wird daran gehindert, sich in z-Richtung zu verschieben.
Am oberen Querschnitt in Längsrichtung wird an allen Knoten die Verschiebung in Axialrichtung uz gleichgesetzt (siehe auch Bindung von Freiheitsgraden). Damit hat nicht mehr jeder Knoten dieses Querschnitts einen Freiheitsgrad "Verschiebung uz", sondern alle diese Knoten können nur gemeinsam eine gleichgroße Verschiebung uz ausführen. Es gibt also für diese Knoten insgesamt nur noch einen Freiheitsgrad uz. Man kann sich das so vorstellen, dass einer der Knoten (master) die Verantwortung für alle anderen (slave) übernimmt. Welcher der Knoten diese Rolle übernimmt, ist für den Anwender unbedeutend. Damit kann sich der Querschnitt nur insgesamt in Längsrichtung verschieben, er bleibt dabei immer eben.
Lösung
Die numerische Lösung für ein quasi-2-dimensionales Modell mit einer Vernetzung in der Ebene und einer einzigen Elementhöhe in der 3. Raumrichtung erfordert etwas mehr Aufwand als ein 2-dimensionales Modell.
Dieser Mehraufwand kann weiter reduziert werden, indem zusätzliche Kopplungen der Freiheitsgrade eingefügt werden. Die jeweils korrespondierenden Knoten der beiden Querschnitte in Längsrichtung müssen jeweils gleiche Verschiebungen ux und uy (in x- und y-Richtung) ausführen. Dies kann durch Kopplungen im Modell eingefügt werden. Im praktischen Alltag ergibt sich dadurch erheblicher Modellierungsaufwand, nur wenig Einsparung an numerischem Aufwand und kein Genauigkeitsgewinn, so dass im allgemeinen darauf verzichtet wird.
Auswertung
Als Beispiel für die Ergebnisse dieses Modells ist hier die Verteilung der Längsspannungen σz aufgrund einer einheitlich hohen Temperatur gezeigt. Diese Spannungen werden durch die unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten der Werkstoffe hervorgerufen. Diese Spannungen gleichen sich im Querschnitt aus, es ergibt sich ein Eigenspannungszustand, es entsteht keine äußere Kraft.